Infos zu Erziehungsstellen 34 SGBVIII
 
Erziehungsstelle Husen

Elternarbeit

Zusammenarbeit mit Eltern in stationären Jugendhilfe Einrichtungen

1) Zur Situation und Lebenslagen von Herkunftsfamilien

Junge Menschen, die in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe aufgenommen werden, stammen aus Familien, die oftmals schon längere Zeit, teilweise sogar über Generationen hinweg der Jugendhilfe bekannt sind.

Häufig haben diese Familien schon verschiedene Hilfen, beispielsweise ambulante Maßnahmen erfahren, die jedoch nicht die erwünschte Verbesserung der Lebenssituation der Kinder und der Familie gebracht haben.

Die betroffenen Familien haben meist eine Vielzahl von Problemen gleichzeitig und leiden insbesondere unter Suchtproblematiken, psychischen Erkrankungen, Ehe- oder Beziehungsproblemen, sind verschuldet, leben in beengten Wohnverhältnissen und vieles mehr. Ihre Kinder haben unter Verwahrlosung, krasser Vernachlässigung, Gewalt oder Missbrauchs gelitten und sind häufig traumatisiert. Sie zeigen gravierende Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsverzögerungen und  Beziehungsstörungen. Es fällt leicht diese Aufzählung an Defiziten fortzuführen – so unpopulär diese Orientierung am Defizit heute auch ist. Viel schwerer – aber unbedingt notwendig – ist es, positive Ressourcen bei diesen Eltern zu entdecken und benennen.

Die psychosoziale Ausgangslage der Eltern ist in der Literatur vielfach beschrieben worden: – eine Mischung aus Scham- und Schuld, Versagensgefühlen, – Misstrauen und Feindseligkeit gegenüber Heimen und Behörden, –  langjährige Erfahrungen mit Machtlosigkeit, Ohnmacht und Misserfolgen. – Verständigungsschwierigkeiten ergeben sich weiter daraus, dass Eltern von Heimkindern zum großen Teil der Unterschicht angehören, während das Heimpersonal eher der Mittelschicht entstammt.

Lassen Sie mich 1 Beispiel unserer Elternarbeit anführen. 

Ein Junge ich nenne ihn hier „Marc“ wurde mit 4 1/2 Jahren in eine unserer Erziehungsstellen aufgenommen. Seine Mutter war selbst schon als Kind der Jugendhilfe bekannt, u.a. wg. Verdacht auf sexuellen Missbrauchs durch den Vater. Zum Aufnahmezeitpunkt bis zum heutigen Tage ist Marcs Mutter arbeitslos, drogenabhängig und wird mit Methadon behandelt, nimmt aber phasenweise Alkohol als Beikonsum. Mehrere Entzüge scheiterten.

Zur Geburt von Marc lebte sie mit einem Freund zusammen, der jedoch nicht der Vater ist. Wechselnde Beziehungen folgten. Marc ist das 2. von heute 5 Kindern, die von 4 verschiedenen Vätern stammen. Inzwischen leben alle Kinder nicht mehr bei ihrer Mutter, sondern sind in verschiedenen stationären Jugendhilfemaßnahmen untergebracht. 

Marc wurde mit massiven Mangelversorgungserscheinungen, Entwicklungsdefiziten, starken Sprachproblemen, Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätssyndrom und gravierenden Verhaltensauffälligkeiten, sowie schweren Beziehungs- und Bindungsstörungen aufgenommen. 

Marcs Mutter war nicht mit einer Unterbringung in einer stationären Einrichtung einverstanden, die Aufnahme wurde jedoch von ihr initiiert und war – in der Rückschau – von ihr aus mehr als eine befristete „Strafmaßnahme“ gedacht. In den ersten Besuchskontakten und in Briefen vermittelte sie ihrem Kind jedes mal das Gefühl, einerseits verantwortlich und „schuld“ für die Trennung von der Familie zu sein, – es könne ja jederzeit zurückkommen, wenn es wolle und müsse dies ja nur sagen – und andererseits immer wieder ihre Liebe und den Trennungsschmerz gegenüber dem Kind zu betonen. Es gelang ihr nicht, dem Kind die Erlaubnis zu geben, in der Erziehungsstellenfamilie sein zu dürfen. Sie konnte sich ebenfalls nicht auf regelmäßige Besuchskontakte einlassen, sondern kämpfte, einerseits per Gericht, um die Rückkehr des Kindes, andererseits nahm sie Besuchskontakte nicht wahr. Im Rahmen dieser Auseinandersetzungen verweigerte sie häufig die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt oder Fachberatern der Einrichtung, so dass diese bei Hausbesuchen vor verschlossenen Türen standen und Absprachen nicht eingehalten wurden. Schließlich brach der Kontakt völlig ab und Marcs Mutter war über längere Zeiträume überhaupt nicht mehr erreichbar, war zwischenzeitlich sogar obdachlos, bzw. in keiner Wohnung mehr gemeldet.

Marc litt schrecklich unter dieser Last und geriet in heftige Loyalitätskonflikte, so dass er über Jahre hinweg 5 –6 mal jährlich über mehrere Wochen in massive psychische Krisen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten geriet. Schließlich entwickelte Marc immer mehr bedrohliche Fantasien und Sorgen, ob seine Mutter entweder sehr krank oder sogar schon gestorben sei.

Hier war es nun Ziel unserer Elternarbeit, zunächst einmal die Mutter ausfindig zu machen, um Marc wieder angemessene Besuchskontakte zu ermöglichen. Diese sollten helfen einerseits seine Ängste und Sorgen zu zerstreuen und andererseits zu einer realen Auseinandersetzung mit seinem Schicksal und seiner Mutter führen und zwar so, dass Marc diese Belastungen auch bewältigen konnte. Unter stark strukturierenden Vorgehen, konnten wir erreichen, dass Marc über mehrere Jahre und in größeren Abständen seine Mutter in Begleitung vom Erziehungstellenvater und dem Fachberater in ihrer Wohnung besuchen und tatsächlich Kontakt aufnehmen konnte und nicht vor verschlossener Tür stand. Jeder Besuch hatte eine intensive Bewältigungssarbeit für das Kind zur Folge, da bei jedem Besuch Sehnsüchte und Hoffnungen geweckt wurden und Trauer, Wut und Enttäuschungen zu bewältigen waren. Im Rahmen des Eintritts der Pubertät tauchten bei Marc vermehrt auch Fragen nach seinem leiblichen Vater auf. Marcs Mutter wurde im Rahmen dieser Besuche ebenfalls in die Biografiearbeit und Spurensuche nach dem Vater – der bis heute aufgrund von polizeilichen Ermittlungen untergetaucht und damit nicht auffindbar ist, so weit wie möglich mit eingebunden, um Marc Rede und Antwort nach seiner Vergangenheit und seinem Vater zu stehen.

Mit diesem, vielleicht etwas extremen Beispiel, möchte ich Ihnen verdeutlichen, wie eng verzahnt Elternarbeit mit der unmittelbaren erzieherischen Arbeit ist, selbst wenn nicht eine Rückführung oder eine angemessene Beziehungsentwicklung im Rahmen einer langfristigen stationären Unterbringung gelingt, sondern nur ganz eng am Wohl des Kindes geschaut wird, was es benötigt, um sich überhaupt weiterzuentwickeln und Krisen zu bewältigen. 

Schauen wir uns jetzt kurz einmal die Geschichte der Entwicklung von Elternarbeit und ihre rechtlichen Grundlagen an, dann werden die Ziele und Aufgaben von Elternarbeit in der stationären Jugendhilfe deutlicher.

2) Von der Individuum zentrierten Arbeit im Heim zur Eltern- und Familienarbeit

2.1) Der geschichtliche Blick

Heimerziehung und damit auch die Rolle und die Art und Weise des Einbezugs der Eltern der betreuten jungen Menschen hat sich in mehreren Wellen im Laufe der letzten 60 Jahre stark verändert. 

Hier einige Schlaglichter:

–  Nach dem 2. Weltkrieg konzentrierten sich die Bemühungen zunächst auf den jungen Menschen und seine alltägliche Versorgung. Da kriegsbedingt diese Kinder und Jugendlichen häufig obdachlos und auch elternlos waren, sollte ihnen zunächst ein Ersatz an Familie und ein neues Zuhause geboten werden.

– Mit der sogenannten „Heimkampagne“ Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre entwickelte sich im Rahmen der Studentenbewegung massive Kritik an den herrschenden Zuständen und vor allem an den autoritären Strukturen in der Heimerziehung. Fachlich rückten darüber milieutherapeutische, anglo-amerikanische Ansätze wie beispielsweise der Bruno Bettelheims in den Vordergrund. Der Blick weitete sich von der singulären Betrachtung der Bedürfnisse des Kindes zum „Feld“ Heimerziehung und hier insbesondere die Beziehung und Rolle des Heimerziehers zum Kind. Die Beziehung zu den Eltern sollte eher so gestaltet werden, dass diese den Erziehungsprozess im Heim nicht störten. Eltern mit einzubeziehen hatte eher appelativen Charakter.

– Erst Ende der 70er Jahre erfolgte eine differenziertere Sichtweise und Diskussion der komplexen Beziehungen zwischen untergebrachten Kindern, Eltern, HeimmitarbeiterInnen und Einrichtungen, sowie Jugendämtern. Damit entwickelte und differenzierte sich auch die Elternarbeit langsam zu einer eigenständigen Aufgabe in der Heimerziehung.

– Mit der Einbeziehung systemischer und familientherapeutischer Ansätze in die Heimerziehung und sicher auch aufgrund der strukturellen Veränderungen des Jugendhilfesystems, beispielsweise mit der Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes 1991, vollzog sich eine Fülle weiterer Veränderungen in der Heimerziehung .

Zu den Grundannahmen dieser systemischen und familientherapeutischen Ansätze komme ich später noch.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich ein Paradigmenwechsel – also ein Wechsel des grundlegenden Denkansatzes – vollzog von einer allein auf das Kind zentrierten pädagogischen Arbeit– quasi im Sinne einer „Reparatur“ des Kindes   –  zu einer systemischen Sichtweise, die das ganze Umfeld, insbesondere aber das Familiensystem und die familiären Beziehungen von Kind und Familie in ihren Blick und ihre Arbeit mit einbezieht.

So erweiterte sich auch der Begriff „Elternarbeit“ in manchen Konzepten zu „Familienarbeit“.

2.2) Rechtliche Anforderungen im Umgang mit den Eltern und Kindern

Die rechtlichen Vorgaben für den Umgang mit den uns anvertrauten jungen Menschen sind insbesondere:

Die UN-Kinderrechtskonvention, die im November 1989 von den Vereinten Nationen verabschiedet und im Jahre 1992 auch von der Bundesrepublik Deutschland ( mit bestimmten Einschränkungen) ratifiziert wurde. Hier werden die individuellen Rechte von Kindern formuliert und der Staat zu seinem Schutz und Beistand verpflichtet. So fordert die Konvention, geeignete Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen

  • Dann möchte ich – vielleicht zu Ihrer Überraschung – auch die Gesetzesreform zur Ächtung der Gewalt in Familien und besonders auch als Erziehungsmittel vom November 2000 anführen, in der der § 1631 BGB konkretisiert wurde und mit dem ein Leitbild für eine gewaltfreie Gesellschaft entstand 
  • Flankierend dazu wurde der § 16 Abs. 1 SGB VIII um den Zusatz ergänzt, dass im Rahmen der Leistungen einer allgemeinen Förderung der Erziehung auch Wege aufgezeigt werden sollen, wie Konfliktsituationen in der Familie gewaltfrei gelöst werden können. Hier hat die Jugendhilfe die wichtige Aufgabe bekommen, einen Bewusstseinswandel zu unterstützen und Hilfen sowie Beratung anzubieten. Ich führe dies an, weil ein hoher Anteil unserer betreuten jungen Menschen unter Gewalterfahrungen gelitten hat und Elternarbeit die Aufgabe bekommt, diesen geforderten Bewusstseinswandel zu unterstützen, 
  • und schließlich ist für uns das seit 1991 gültige Kinder und Jugendhilfegesetz  SGB VIII, von maßgeblicher Bedeutung, dass ebenfalls den Paradigmenwechsel von der Individuumzentrierung zur Familienzentrierung wiederspiegelt. Das SGB VIII , das den Schutz des Elternrechts aufgreift, der in Artikel 6 Abs.2 und 3 des Grundgesetztes garantiert wird, macht die Eltern weitgehend zum unmittelbaren Adressaten für Jugendhilfe mit bestimmten Rechtsansprüchen. Eltern sollen im Rahmen der Hilfeplanung und bei Einleitung und Durchführung aller Jugendhilfemaßnahmen mitwirken können ( §§ 1,2,36). Sie haben ein bestimmtes Wunsch- und Wahlrecht (§ 27). Die besonderen kulturellen Bedürfnisse und Eigenarten von Familien sind zu berücksichtigen (§9). Besonders bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie sind MitarbeiterInnen und Einrichtungen zur Zusammenarbeit, Beratung und Unterstützung verpflichtet, mit dem Auftrag , möglichst die Erziehungsfähigkeit der Eltern wieder herzustellen und die Beziehung zwischen Eltern und Kind zu fördern, aber auch, wenn eine Rückkehr in die Familie nicht möglich ist, eine auf Dauer angelegte Lebensperspektive und damit auch eine angemessene Beziehungsebene zu der Herkunftsfamilie zu erarbeiten (§ 37).
  • Im Oktober wurde das SGB VIII um den § 8a ergänzt, das den Schutz des Kindes vor Kindeswohlgefährdung verbessern und konkretisieren soll. Dies hat auch auf die Eltern- und Familienarbeit großen Einfluss, da sowohl für die öffentlichen wie für die privaten Träger der Schutzauftrag deutlich definiert wurde und sich damit ein bewussterer Blick auf die Lage von Kindern entwickelt hat. Mit dem § 8a werden inzwischen Vereinbarungen zwischen öffentlichen und freien Trägern geschlossen, die Verantwortung und Verfahrensweisen bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung konkreter definieren, die Meldepflichten festlegen und das Wohl des Kindes vor den Datenschutz stellen. Einrichtungsinterne Verfahrensabläufe und Verantwortlichkeitsregelungen sind von den freien Trägern zu entwickeln und bei Verdacht sind die Sorgeberechtigten und wenn möglich die „Gefährder“ mit einzubeziehen und eine Einrichtung muss prüfen, ob sie über Schutzpläne ausreichend Hilfe anbieten kann, um eine Kindeswohlgefährdung zu beenden. Einrichtungen müssen also bewusster und genauer aufs Kind und auch seine Herkunftsfamilie schauen – und auch bezüglich des Kindeswohls konkret mit den Familien arbeiten.

Damit wird deutlich, dass stationäre Einrichtungen pädagogisch wie rechtlich einen Auftrag zur Eltern- und Familienarbeit haben und das Elternarbeit kein marginaler Bereich im Vergleich zum unmittelbaren Erziehungs- und Betreuungsauftrag für das Kind ist.

Von welchen Grundannahmen gerade auch unter systemischer Sichtweise gehen wir in der stationären Jugendhilfe also heute aus und wie versuchen wir ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen?

3) Grundannahmen der Eltern- und Familienarbeit

Zunächst einmal muss ich festhalten, dass es kein allgemeingültiges, schlüssiges Konzept oder überhaupt ein Patentrezept für Eltern- und Familienarbeit gibt. Immer noch hat Eltern- und Familienarbeit in Einrichtungen eine Art experimentellen Charakter, da nach wie vor nach neuen Ideen und Lösungen gesucht wird, wie wir Eltern erreichen und zu einer erfolgreichen Mitwirkung bewegen können.

Empirische Untersuchungen über den Erfolg von Heimerziehung kämpfen mit dem Umstand, dass zwar die Quantität der pädagogischen und therapeutischen Leistungen

messbar ist, ihre tatsächliche langfristige Wirkung auf den jungen Menschen und sein späteres Verhalten aber erst viel später in katamnestischen Studien überprüft werden können, wobei mir keine katamnestischen Studien über Wirkungsweisen verschiedener Formen von Elternarbeit bekannt sind.

Dennoch lassen die bisherigen Veröffentlichungen den Schluss zu, dass eine konsequente, systematische und planvolle Eltern- und Familienarbeit und dass eine Vielfalt von zur Anwendung kommender Methoden, die sich am Prozess orientieren, den Erfolg von stationärer Erziehung begünstigt

  • Die traditionelle, laienhafte Vorstellung, dass Eltern ihr renitentes, delinquentes, neurotisches oder sonst wie auffälliges Kind zur „Reparatur“ oder auf Dauer im Heim abliefern oder abliefern müssen, ist der Grundannahme gewichen, dass mit Einbezug des Umfeldes und der Eltern sich befriedigendere pädagogische Problemlösungen und pädagogische Ergebnisse erzielen lassen und zwar sowohl im Heimalltag als auch im besten Fall durch eine gelungene Rückführung und damit durch eine Verkürzung des Heimaufenthaltes und der Trennung eines Kindes von seinen Eltern. 
  • Die Herkunftsfamilie bleibt damit ein relevantes Bezugssystem, sei es real oder sei es in den Vorstellungen, Fantasien und Prägungen des jungen Menschen. Eltern- und Familienarbeit sucht einen aktiven Umgang mit dieser Erkenntnis und blendet Eltern nicht aus.
  • Eltern bleiben damit so weit wie möglich in der Verantwortung . Die Förderung und auch Einforderung ihrer Erziehungskompetenzen und Ressourcen, die eine Rückführung ihrer Kinder oder aber auch eine angemessene Entwicklung der Eltern- Kind- Beziehung im Rahmen der stationären Jugendhilfe ermöglicht, ist ein zentrales Anliegen.

Die Schwierigkeiten eines jungen Menschen werden als Symptom eines komplexen familiären Beziehungssystems verstanden. Nur wenn sich das System Familie verändert, kann sich auch der junge Mensch verändern und entwickeln.

Eine wesentliche Voraussetzung für alle Schritte, mit den Eltern in Kontakt zu kommen und zu arbeiten, ist die in den Konzepten und in den Beziehungen der Fachkräfte zu den Eltern implizite Grundhaltung. Eltern sollen als Personen betrachtet werden, „die zur Zeit das Bestmögliche für und mit dem Kind tun, – was (leider) nicht immer das Beste fürs Kind ist“ (Conen 1992, S 21, zitiert nach Neumeyer 1996, S 126). Trotz aller offensichtlichen und uns ins Auge springenden vielfältigen Probleme, die von uns schnell als Defizite katalogisiert werden, sind  unsere Wertschätzung der Eltern und ihre Stärken und Ressourcen bzw. deren Entwicklung wesentlich für die Basis unserer Beziehung zu ihnen.

4) Thesen für eine Eltern und Familienarbeit:

Aus dem bisher genannten ergeben sich folgende Konsequenzen und Ansatzpunkte für die Eltern- und Familienarbeit.

Bevor Eltern- und Familienarbeit überhaupt beginnen kann, ist eine wesentliche Voraussetzung die gründliche Abklärung des Hilfebedarfs und der Motivationslage der Eltern. Gemeinsam ist zwischen Eltern, Fachkräften der Einrichtung und den verantwortlichen MitarbeiterInnen des Jugendamtes, der Auftrag einer konkreten  Jugendhilfemaßnahme und der dort zu leistenden Eltern- und Familienarbeit zu entwickeln. Auch bei Kooperationsproblemen im Verlauf der weiteren Betreuung ist es sinnvoll, den Auftrag immer wieder neu zu klären und ggfs. neu zu vereinbaren.

Im Rahmen des Aufnahmeverfahrens heißt Eltern- und Familienarbeit, die Gewinnung möglichst vieler Informationen über familiäre Sachverhalte, Beziehungsgeflechte oder beispielsweise von „Familiengeheimnisse“ und damit korrespondierenden Erlebnissen und Erfahrungen des jungen Menschen, um Einfühlungsvermögen und Verständnis für ihn zu entwickeln und für die Erziehungs- Hilfe- und Therapieplanung zu nutzen.

Der Kontakt zum Heim bzw. zu seinen MitarbeiterInnen kann für Eltern im Hintergrund von Gefühlen von Zwang, Demütigung, Entmündigung und Kontrolle, von Misstrauen oder auch von Feindseligkeit begleitet sein. Ziel der Eltern- und Familienarbeit ist es hier, zunächst eine Vertrauensbasis und Motivation für eine weitere Zusammenarbeit zu gewinnen. Dies ist ein sehr emotionaler Prozess, der stark von einer akzeptierenden und verständnisvollen Grundhaltung der MitarbeiterInnen getragen wird.

Systemische Eltern- und Familienarbeit geht von der Annahme aus, dass nur, wenn die Familie sich verändert, und das Kind nicht mehr als „Symptomträger“ benötigt wird oder sich nicht erlittene Traumen und alte Erfahrungen wiederholen eine Chance auf Rückführung besteht. Aufgrund bisheriger Misserfolgserlebnisse haben viele Eltern Schuld- und Schamgefühle, Gefühle des Versagens und der Zweifel an sich selbst entwickelt. Im Rahmen der Eltern- und Familienarbeit müssen diese Gefühle aufgegriffen werden, um die Bereitschaft zu wecken, Verantwortung nicht abzugeben, sondern aktiv auf Ressourcensuche zu gehen. Eltern müssen erst dazu gewonnen werden, sich auf Veränderungen einzulassen, aktiv zu werden und Anstrengungen für Veränderungen zu unternehmen.

Diese gerade geschilderten negativen Gefühle sind für Eltern nur sehr schwer zu ertragen und viele reagieren mit den bekannten psychodynamischen Mechanismen darauf, die diese Eltern für MitarbeiterInnen zu sogenannten „schwierigen“ Eltern werden lassen. ( Mechanismen wie beispielsweise „Projektion“, „Rationalisierung“, „Verdrängung“) Ich möchte hier insbesondere das Gefühl „Verlierer“ in einer Konkurrenzbeziehung zu sein, erwähnen. ErzieherInnen oder besonders in meinem Bereich die Erziehungssteleneltern geraten schnell in die Rolle der „besseren“ Eltern, mit denen Herkunftseltern nicht konkurrieren können. Als Folge können Eltern keine Loyalität zur Einrichtung entwickeln, sondern sind quasi gezwungen zu beweisen, dass „die Profis“ eben auch nicht alles können und mit ihrem Kind auch nicht fertig werden“ Kinder spüren dies sofort und geraten in starke Loyalitätskonflikte. Von ihren Eltern spüren sie quasi das Verbot sich zu entwickeln, im Heim führt aber genau das zu negativen Konsequenzen und Nachteilen für den jungen Menschen. Eltern und Familienarbeit muß daher versuchen, Konkurrenzbeziehungen zu minimieren und Loyalitätskonflikte für die betreuten jungen Menschen zu vermeiden. Dies geht besser mit und nicht gegen die Herkunftsfamilie. 

Eltern und Familienarbeit muss sich damit auseinandersetzen, dass es Aufgabe der MitarbeiterInnen in den Einrichtungen ist, einerseits Partei für das Wohl und den Schutz des Kindes zu ergreifen und dass sie die von den Kindern gemachten negativen Erfahrungen und Traumen in ihrer Arbeit sehr direkt an sich selber spüren. Andererseits müssen sie im Rahmen der Zusammenarbeit mit den Eltern auch Partei für die Eltern ergreifen, Verständnis entwickeln,  sie partizipieren lassen und in ihrem Elternrecht annehmen. Sie haben auch die Aufgabe die Übernahme von Erziehungsverantwortung bei den Eltern zu fördern. Die MitarbeiterInnen  stehen so zwischen allen Stühlen und Einrichtungen müssen im Rahmen ihrer Eltern- und Familienarbeit Antworten finden, wie ihre MitarbeiterInnen mit diesen Widersprüchen zum Wohle aller Beteiligten umgehen können.

Mit der systemischen Betrachtungsweise und nicht zuletzt auch bestimmt vom „Diktat der leeren Kassen“ der letzten Jahre, wird Heimerziehung zunehmend als temporäre Form der Unterbringung gesehen und damit für die jungen Menschen ein „Zuhause auf Zeit und “Erziehungsstellen werden eher zu „Familien auf Zeit“ statt „Ersatzfamilie“. Die Abklärung und Erarbeitung von Rückführung und der Erhalt und die Entwicklung der Eltern –Kind Beziehung wird ein zentrales Anliegen der Eltern- und Familienarbeit. Ziel ist es, eine ausreichende Erziehungsfähigkeit und Verantwortlichkeit der Eltern zu entwickeln oder aber, wenn eine Rückführung sich als nicht möglich erweist, auszuloten, in welcher angemessenen Beziehung Kind und Eltern miteinander leben können und in wie weit Eltern zumindest teilweise an der Erziehung mitwirken und ihre Rechte wahrnehmen können.

Eltern- und Familienarbeit ganz praktisch heißt, dass den Eltern die Abläufe und das erzieherische Geschehen transparent gemacht werden und dass sie aktiv mit einbezogen werden, damit sie möglichst die Ziele und das Bemühen der MitarbeiterInnen unterstützen können. Denn Ausgrenzung von Eltern führt zum Ausagieren der betreuten jungen Menschen und deren Familiendynamik in der Einrichtung.

Eltern- und Familienarbeitarbeit heißt ebenso, intensive und kreative Suche nach allen möglichen Ressourcen und Stärken, die die Entwicklung des jungen betreuten Menschen unterstützen können, Verhaltensauffälligkeiten mindern helfen oder zur Entwicklung angemessener Beziehungen beitragen können. Dabei beschränkt sich Eltern- und Familienarbeit nicht auf die Eltern – Kind Beziehung, sondern bezieht das gesamte familiäre und verwandtschaftliche, evtl. sogar soziale Netz der Familie mit ein.

Nach Beendigung einer stationären Maßnahme, selbst wenn sie auf Verselbständigung hinausläuft, nehmen viele betreute Menschen wieder Kontakt zu ihren Herkunftsfamilien auf. Ohne ausreichende Eltern / bzw. Familienarbeit besteht die Gefahr, dass die erreichten Erfolge schnell verspielt sind und der junge Mensch wieder in seine alten Muster und Rollen gerät.

Im folgenden möchte ich Ihnen tabellarisch eine Sammlung von verschiedenen Formen und Ebenen von Elternarbeit vorstellen. Diese Tabellen habe ich auszugsweise einer Veröffentlichung von Helmut Adler übernommen ( Unsere Jugend Heft 5 2001 S.194-204 und (Unsere Jugend Heft 4 S 149-158). Uns fehlt hier leider die Zeit, die verschiedenen Ebenen und Möglichkeiten von Elternarbeit im Detail zu erläutern. Mit dieser Übersicht möchte ich Ihnen dennoch einen kleinen Eindruck verschaffen, wie vielfältig und unterschiedlich Eltern- und Familienarbeit gestaltet werden kann und an wie vielen Schnittstellen Eltern beteiligt und eingebunden werden können.

5) Verschiedene Ansätze von Eltern- und Familienarbeit

Ich folge hier einer Darstellung Helmut Adlers ( in: Unsere Jugend 2001 , Heft 4 und 5)     der 3 grundlegende Formen von Elternarbeit unterscheidet und in Tabellenform aufgelistet hat:

1)     Kooperationsansätze – dargestellt in Tabelle 1

2)     Beratungsansätze und Elterntraining – siehe Tabelle 2  und

3)     Therapeutische Familieninterventionen. –in Tabelle 3 aufgeführt

Alle 3 Formen lassen sich in der Praxis nicht immer scharf voneinander abgrenzen, unterscheiden sich aber deutlich in ihren Zielen, Aufträgen und Methoden.

5.1) Kooperationsansätze

Die Tabelle 1 stellt die verschiedenen Ebenen in Kooperationsansätzen dar. Diese gehen davon aus, dass überall, wo Kinder von verschiedenen Personen betreut und erzogen werden, das Alltagssetting zwischen Eltern und Fachkräften abgestimmt werden muss, was auf beiden Seiten die Bereitschaft zu Kooperation und Transparenz voraussetzt. Grundelemente sind daher der Austausch von Informationen, die Abstimmung des Alltags, die Gestaltung von Übergabe- und Schnittstellensituationen ( Besuchskontakte, Wochenendheimfahrten..) und Koordination von Erziehungsstilen, wie z.B. Regelungen, Absprachen und Umgang mit bestimmten Situationen.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Kooperation in Einrichtungen unabdingbar ist und immer stattfinden muss.

Die Tabelle 1 zeigt Ihnen die verschiedenen Kooperationsformen und Ebenen auf, die nach Arbeitszielen, Kontaktintensität und Häufigkeit, gegliedert sind. In der Regel werden verschiedene Kooperationsformen in Einrichtungen miteinander kombiniert und ergänzen sich gegenseitig.

Kooperation erfordert jedoch auch strukturelle und organisatorische Voraussetzungen wie Zeitressourcen, Dienstgestaltung, geeignete Räume etc. Die Tabelle macht ebenfalls deutlich, einen wie großen Aufwand es erfordert, eine gute Kooperation und Einbezug der Eltern zu ermöglichen.

Tabelle 1

ArbeitsformArbeitszieleKontakt-
intensität
Sinnvolle FrequenzMethoden
 Info AustauschÜbergabe- Koord.  Alltags- Koord.Koord. Erz-StileHilfe-
plan
Konflikte managen     
Hausaufga-
benbuch
X     niedrigtäglichEinträge in Tages- oder Wochenplan
BriefeXX    niedrignach BedarfSchriftlicher Kontakt
TelefonatXX      mittel1 x pro WocheTelefonischer Kontakt
KurzkontaktXX    mittel1 x pro WocheKurzer persönlicher Kontakt
Eltern-
gespräch
XXXX  hoch1 x pro MonatStrukturiertes Gespräch
Hausbesuch (bei den Eltern) XXX   hochnach BedarfLängerer persönlicher Kontakt in der Wohnung der Eltern
Gruppen-
besuch (der Eltern in der Gruppe)
 XXX  hochnach BedarfLängerer persönlicher Kontakt in der Einrichtung
Hilfeplan-
gespräch
  XXXhochhalbjährlich (und bei Bedarf)Strukturiertes Gespräch zur Hilfeplanung mit der Fachkraft im Jugendamt
Konflikt-
gespräch
   X Xhochnach BedarfStrukturiertes Gespräch zur Klärung von Konflikten
Elterntreff   X Xhoch1 x pro QuartalStrukturierte Veranstaltung für alle Eltern
Elternwo-
chenende
   X Xhochnach BedarfStrukturierte Arbeits- und Freizeit-
veranstaltung für Eltern
Moderierter Elternkreis XXX Xhoch1-2 x pro QuartalStrukturierte und regelmäßige Veranstaltung fürEltern/Erzieher; ext. Moderation



5.2) Beratungs und Elterntraining

Verschiedene Ansätze von Beratung und Elterntrainig werden in Tabelle 2 dargestellt. Auch hier verwende ich wieder die Systematik Helmut Adlers:

Tabelle 2

 ArbeitsformKontakt-intensitätSinnvolle FrequenzMethoden
1Elternberatungmittel bis hochnach BedarfBeratungsgespräch mit den Eltern
2Abgestufte präventive Ansätzemittel bis hochnach BedarfVerschiedene Methoden
3Trainingsmodule für Elternhoch1 x pro WocheStrukturierte Module (eingebettet in Elterngespräche)
4Behaviorales Elterntraininghoch1 x pro WochePraktisches Training mit den Eltern

Beratung und Elterntraining beinhalten die Förderung der Erziehungsfähgkeit und Kompetenzen der Eltern / bzw. bestimmter Familienmitglieder. Beide Ansätze streben nach gezielter Änderung elterlicher Verhaltensweisen bezüglich Alltagssituationen und konkretem Umgang mit ihrem Kind. Dies setzt eine Bereitschaft zur Kooperation und Motivation der Eltern voraus, sowie einen Auftrag, mit bestimmten Methoden spezifische Verhaltensweisen zu reflektieren. Beratung und Elterntraining lassen sich dadurch unterscheiden, dass Beratung überwiegend in Gesprächen und Training stärker durch eine konkrete Anleitung auf der Handlungsebene eine Modifikation elterlichen Verhaltens zu erreichen versucht.

5.3) Therapeutische Familieninterventionen

In Tabelle 3 sind die therapeutischen Ansätze aufgelistet.

Therapeutische Interventionen gehen davon aus, dass nicht nur die Veränderung einzelner Aspekte, sondern tiefgreifende Veränderungen des Verhaltens oder der Einstellungen bei einzelnen Elternteilen notwendig sind oder aber dass das die Paarbeziehung der Eltern oder das gesamten System der Familie Veränderungen bedarf. Solche Ansätze beziehen das gesamte Interaktionssystem der Familie mit ein und zielen auf Veränderungen des gesamten Systems und der Lebenszusammenhänge. Sie erfordern daher die Bereitschaft und den Auftrag aller betroffenen Mitglieder des Systems. Therapeutische Ansätze gehen über Beratung und Training hinaus, da nicht nur spezifische Aspekte elterlichen Erziehungshandelns angesprochen werden und da sie einer hohen Kontaktdichte bedürfen.

Therapeutische Interventionen erfordern eine Reihe struktureller Voraussetzungen in der Einrichtung, wie z.B. entsprechend qualifiziertes Personal, dass eine strukturelle  Unabhängigkeit innerhalb der Einrichtung hat und nicht unmittelbar mit den jungen Menschen im Gruppendienst arbeitet.

Tabelle 3

ArbeitsformKontaktintensitätSinnvolle FrequenzMethoden
 Familienedukatives Vorgehenmittel bis hochnach BedarfBeratungsgespräche und Trainingseinheiten zu spezifischen Themen mit den Eltern
 Systemisch-familientherapeutische Ansätzemittel bis hochnach Bedarf (1 x pro Woche oder seltener)Therapeutische Gespräche mit einzelnen Familienmitgliedern oder der ganzen Familie
 Videotraininghoch1 x pro WocheFeedback und Training anhand von Videoaufnahmen
 Familienaktivierungsehr hochmehrmals pro WocheIntensive Arbeit in der Familie mit verschiedenen Methoden
     



6) Ausblick:

Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen und des kurzen Überblicks über Elternarbeit in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe angelangt.

Zusammenfassend möchte ich sagen:

Elternarbeit kann gelingen, wenn wir auch in den Einrichtungen sowohl Partei für die uns anvertrauten jungen Menschen als auch für deren Eltern ergreifen. Es muss uns gelingen, die Entwicklung und das Wohl der uns anvertrauten jungen Menschen als gemeinsame Aufgabe und Anstrengung von Eltern und Jugendhilfeeinrichtung zu sehen.

 

Dazu müssen wir die Eltern wertschätzen und mit ihren Fehlern und Schwächen akzeptieren und sie partizipieren lassen, dass heißt ihnen nicht alle Verantwortung abnehmen, sondern im Gegenteil diese Einfordern, Wecken und nach Ressourcen und Stärken suchen, so dass Eltern  Möglichkeiten entwickeln können, ihren Fähigkeiten entsprechend, sich als „gute Eltern“ zu begreifen.

Eine ausreichende Erziehungskompetenz und Stabilität der Familie und damit eine Rückkehr des jungen Menschen in seine Familie ist sicher das größte und herausforderndste Ziel unserer Bemühungen. Andererseits dürfen wir Eltern ebenso wenig überfordern und müssen die Entwicklungsmöglichkeiten und das Wohl, sowie den Schutz des jungen Menschen im Blick behalten. Kinder sind eben nicht nur ein „Anhängsel“ ihrer Eltern und haben eigene Rechte und Bedürfnisse. Als Erfolg unserer Arbeit müssen wir daher auch das Entwickeln „kleinerer“ Lösungen ansehen, in denen es gelingt, dass Eltern – trotz weiterer Hilfen –  auf angemessene Weise partizipieren und sich verantwortlich fühlen und die Chance und den Raum haben, sich – auch mit Einschränkungen – als „gute Eltern“ zu akzeptieren und zu begreifen.