Infos zu Erziehungsstellen 34 SGBVIII
 
Erziehungsstelle Husen

Empirische Untersuchungen

Erziehungsstellen;
Professionelle Erziehung in privaten Haushalten – Ergebnisse aus 2 empirischen Untersuchungen:

I.) Auszüge aus …“das ist einfach eine richtige Familie“

Zur aktuellen Entwicklung von Erziehungsstellen als Alternative zur Heimerziehung, Hamberger, Hardege u.a.

IHFH Eigenverlag Frankfurt 2001 ISBN 3-925146-50-4

Diese Studie bezieht ihre Daten aus dem Raum Württemberg-Hohenzollern.

1) Zu Trägern von Erziehungsstellen

Das Angebot an Erziehungsstellen ist in den letzten Jahren stetig gewachsen und scheint der Gesamtentwicklung zu entsprechen, stärker individualisierte Betreuungsformen in Anspruch zu nehmen.

Familienähnlichkeit und gleichzeitig professionelles Setting sind ein wichtiges Qualitätsmerkmal.

Es gibt mehr Anfragen nach Erziehungsstellen als mögliche Anwerbung geeigneter Familien. Eine weitere Expansion der Erziehungsstellenarbeit scheint eine Begrenzung durch Mangel an Ressourcen von geeigneten, qualifizierten Familien zu erfahren.

Erziehungsstellen werden überwiegend von den regionalen Jugendämtern in Anspruch genommen. Dies verweist sowohl auf die Abhängigkeit von der Belegungspraxis und Strategien der Jugendämter als auch auf die Verzahnung der Erziehungsstellenarbeit mit Herkunftsfamilienarbeit.

2) Die jungen Menschen in Erziehungsstellen

Wie im bundesweiten Trend werden Erziehungsstellen tendenziell gleichberechtigt von Jungen und Mädchen belegt. Jungen sind noch leicht überrepräsentiert.

33% der Aufnahmen liegen bis zum 6. Lebensjahr, das durchschnittliche Aufnahmealter liegt bei 7 Jahren. Die Erziehungsstelle wird dabei nicht nur als familiäres Setting gesucht, sondern als sehr individuelles Betreuungsarrangement.

Die Familienkonstellation der Herkunftsfamilien ist sehr komplex. Es werden als Begründung für Aufnahme in eine Erziehungsstelle genannt: 

81,5% familiäre Defizite im Erziehungsbereich, 
66,9% Beziehungsstörungen in der Herkunftsfamilie,
 56,3% häusliche Gewalt,
 51,0% Trennungs- Scheidungskonflikte, Partnerkonflikte,
41,7% Suchtprobleme.



3) Der junge Mensch zwischen Herkunftsfamilie und Erziehungsstelle

Aufenthalt unmittelbar vor Aufnahme in die Erziehungsstelle:

Heim:                    34%
Herkunftsfamilie:    26%
Pflegefamilie:        17%
Notaufnahme:        11%
Psychiatrie:             3%
Sonstiges:                 9%



89% aller Kinder haben vorher schon eine Maßnahme nach § 27ff KJHG (incl. jugendpsychiatrischer Maßnahmen und Inobhutnahmen minus Erziehungsberatung) in Anspruch genommen.

29% der Kinder haben bereits eine oder mehrere Trennungen ( Kriseninterventionen Inobhutnahmen) von der Herkunftsfamilie hinter sich. Mindestens 1 vollstationäre Unterbringung in einem Heim haben etwa 34,4% der Kinder erlebt, in einer Pflegefamilie waren 22,5%, 9% aller Kinder haben sogar beides zuvor mitgemacht.

Zusammenfassend als „Fremdplazierungen“ haben die aufgenommenen Kinder in Erziehungsstellen zu

33%    1 Fremdunterbringung,
26%    keine F.
25%    2 F.
9%    3 F.

erlebt.

Ungeachtet der vielfältigen Fremdunterbringung pflegen die überwiegende Mehrzahl der jungen Menschen regelmäßige Kontakte, oft sogar sehr häufige Kontakte zur Herkunftsfamilie. Nur in einem geringen Prozentzatz der Fälle führen Veränderungen zu einem Beziehungsabbruch.. Erziehungsstellen pflegen und unterstützen eher aktiv diese Beziehungen. „Dies bedeutet aber auch, dass an die Erziehungsstelle erhebliche Ansprüche gestellt sind, wenn sie mit den Widersprüchen umgehen muß, die der junge Mensch im Spannungsfeld zwischen beiden Lebenswelten aushalten und verarbeiten muß.“ (S. 92)

4) Das Leistungsprofil der Erziehungsstellenarbeit

Die Auswahl der Erziehungsstelle dauert in der Regel mehrere Monate, in denen mehrere Gespräche mit der(m) MitarbeiterIn und der(m) PartnerIn und zum Teil auch mit der gesamten Familie geführt werden. Die Auswahl orientiert sich u.a. an -fachlicher Qualifikation, -Bereitschaft zur Arbeit mit der Herkunftsfamilie, – Akzeptanz einer fachlichen Öffentlichkeit, -Bereitschaft zur Kooperation mit dem Fachdienst.

42% der MitarbeiterInnen haben ein abgeschlossenes Sozialpädagogik Studium,
41% eine ErzieherInnenausbildung,
7% eine Ausbildung in einem heilpädagogischen / pflegerischen Beruf.
85% der ErziehungsstellenmitarbeiterInnen sind weiblich, 15% männlich, 
bei 91% der Erziehungsstellen handelt es sich um Paare.


Der Fachdienst berät die Erziehungsstelle regelmäßig:

56% der Erziehungsstellen haben jährlich zwischen 16 und 24 Gespräche, was etwa einen 14 tägigen Rythmus ergibt.
23% haben zwischen 10 und 14 Gespräche jährlich, was etwa monatlichen Kontakten entspricht.
18% haben 25 und mehr Gespräche,
3% haben weniger als 10 Gespräche. Als Minimum werden3 Gespräche pro Jahr benannt.


Federführung in der Herkunftsfamilienarbeit hat

 in 43,5% der Fälle der Fachdienst, 
in 26,9% die Erziehungsstelle,
 in 13,9% das Jugendamt. 
Bei 8,3% wird gemeinsam von Erziehungsstelle und Fachdienst die Federführung übernommen.


Als Unterstützungsmaßnahmen der Erziehungsstelle werden genannt:

10%    Haushaltshilfe
11%    Kinder Betreuung in den Ferienzeiten
11%    Aushilfen
94%    Gesprächskreise
92%    Fortbildung



II.) Teilzusammenfassung der Studie der Planungsgruppe PETRA, Holger Thurau, Uwe Völker, 1996 2.Aufl.

IGfH-Eigenverlag , Frankfurt/M 1995 ISBN 3-925146-34-2 

Auch aus Anlaß des 20jährigen Jubiläums der Erziehungsstellen – wurde im Auftrag des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen (LWV Hessen) und des Bundesministeriums für Frauen und Jugend (BMFJ) von der Planungsgruppe Petra eine Studie zur Leistungsfähigkeit von Erziehungsstellen erstellt.

Hier folgt eine Kurzfassung der Ergebnisse dieser Studie (von Dpl.-Päd. M. Husen)

1)  Grunddaten zu Erziehungsstellen

In dieser Studie in der 86 aktuelle Erziehungsstellen und 40 ehemalige Erziehungsstellen befragt . In 6 Familien wurde eine besondere intensive, einzelfallbezogene Leistungsanalyse vorgenommen.

Qualifikation
  Geschlecht (Fach)abitur Päd. Ausbild. Päd. Beruf Eig. Kinder
aktuelle Erziehungsstellen Frau 38,1% 50,6% 25,9% 95,3%
Mann 36,1% 31,6% 22,4%
ehemalige Erziehungsstellen Frau 47,4% 58,3% 42,4% 84,6%
Mann 60,6% 54,5% 52,9%

Interpretation: Anfangs wurde wohl mehr Wert auf Schulabschluß und pädagog. Ausbildung gelegt seitens des Landeswohlfahrtverbandes, später zählten pragmatischere Gründe, die Autoren nennen z.B. für die Arbeit wichtige praktische Erfahrungen und Vorerfahrungen

Motivation zur Erziehungsstelle
Gründe Erz.stelle zu werden trifft zu trifft teilw. zu trifft nicht zu
Alternative zur Berufstätigkeit 44,9% 26,9% 28,2%
Kinderwunsch da keine eigenen Ki. 6,0% 6,0% 88,1%
Wollten diesem Kind helfen 81,6% 14,5% 3,9%
zusätzliches Einkommen 28,6% 42,9% 28,6%
genügend Wohnraum 74,7% 16,0% 9,3%
Hatten bereits ein Pflegekind 55,4% 8,1% 36,5%
Geschwisterergänzung zu eig. Kindern 38,6% 20,0% 41,4%



Finanzielle Zufriedenheit

Erziehungsstellen bekommen ein Honorar für ihre Arbeit, das weit höher liegt als das normale Pflegegeldhonorar.

21,2% der aktuellen Erziehungsstellen empfinden das Honorar als nicht ausreichend, gegenüber 10,0% der ehemaligen Erziehungsstellen, was als ein Hinweis auf ein zunehmendes professionelles Verständnis gewertet wird mit Vergleich auf entsprechende Angestellten Tätigkeiten und Entlohnungen.

2)  Grunddaten zu den Pflegekindern

Das Verhältnis Von Jungen und Mädchen in den Erziehungsstellen liegt etwa 2:1.

Das Durchschnittsaufnahmealter liegt bei 9,5 Jahren, die häufigsten Aufnahmealter liegen zwischen 7-10 und bei12 Jahren.

Der Anteil an Kindern unter 7 Jahren liegt bei 27%.

Die Betreuungszeit liegt bei ca. 5 Jahren, da vermehrt jüngere Kinder aufgenommen werden vermuten die Autoren eine statistische Steigerung auf 6 Jahren. Die Unterbringung liegt damit 1-2 Jahre höher als bei Heimaufenthalten und ist vergleichbar mit normalen Pflegefamilien.

Die Kinder der Erz-stellen kommen häufig nicht direkt aus der Ursprungsfamilie.

frühere Lebensstationen
Anzahl Lebens- stationen Prozent
1 19,5%
2 32,2%
3 27,1%
4 13,6%
5 7,6%

Weitere Daten zweigen, daß die Kinder aus überdurchschnittlich instabilen Familienverhältnissen kommen. Die überwiegende Anzahl der Kinder wurden bereits in Institutionen der Jugendhilfe oder Pschiatrie betreut. 60% erhielten vorausgegangene Hilfenin ambulanten Beratungsstellen. Es wird deutlich daß es sich hier um stark problembehaftete Kinder handelt und was für professionelle Arbeit erwartet wird und notwendig ist.

Problemverhaltensweisen
Problemverhalten Ausprägung des Problemverhaltens
 stark weniger stark gering
Schulprobleme 73,5% 17,6% 8,8%
aggressives Verh. 41,6% 28,3% 30,1%
sonstige soziale Ver- haltensauffälligk. 73,7% 19,3% 7%
Ängste 65,5% 21,8% 12,7%
körperliche, psycho- somatische Auff. 45,9% 24,3% 29,7%
motorische Auff. 56,0% 16,5% 27,5%

In weiteren Gesprächsrunden stellen die Autoren fest, daß Erziehungsstellen Kinder aufnehmen, die von der Symptomatik her mit Heimkindern durchaus vergleichbar sind. Manche Erziehungsstellen leben mit mehreren problembehafteten Kindern zusammen, mit denen so manches Erzieherteam eines Heimes überfordert wäre!

Veränderungen im Verhalten der Kinder

Die Untersuchung ergab, daß sehr viele positive Veränderungen von den Erziehungsstellen berichtet wurden (bei300 positiven Rückmeldungen 50 negative Nennungen).Bei 5 von 6 Erziehungsstellenkindern konnte eine Verbesserung  in Richtung der angestrebten Ziele beobachtet werden. Die Ergebnisse werden dahingehend interpretiert, daß die Entwicklung in den Familien nicht linear verläuft, sondern von Krisen begleitet ist, sowohl der Erziehungsstellenkinder als der Gesamtfamilie. Krisen werden in erster Linie im Zusammenhang mit Ereignissen bezüglich der Herkunftsfamilien genannt. Verhaltens“rückfälle“ und schulische Probleme sind weitere Krisenauslöser. Gelegentlich wurde von einer 3 phasigen Entwicklung berichtet: Nach einer schnellen positiven Veränderung und Anpassung des Sozial-Verhaltens des Erziehungsstellenkindes  erfolgt nach ca. 1/2 bis 1 Jahr öfters ein Rückfall in alte Problemverhaltensweisen. Die 3. Phase besteht in einer Neuorientierungsphase der Erziehungsstelleneltern in der die oft hoch gesteckten Ziele den tatsächlich möglichen Entwicklungen angepaßt werden müssen.

Die Autoren weisen hier bei einer derartig schwankenden Entwicklung besonders auf die Notwendigkeit einer Erziehungsplanung hin.

Ausbildung  / Vorerfahrungen der Erziehungsstellen und Kinder-Verhaltensbeurteilung

Pädagogisch vorgebildete Erziehungsstellen beurteilten die Verhaltensänderungen ihrer Kinder vorsichtiger und weniger gravierend als nicht pädagogisch vorgebildete Eltern. Die Autoren interpretieren dies als höheres Anspruchsniveau der vorgebildetenn Eltern.

Beim Vergleich von vorerfahrenen Erziehungsstellen mit nicht vorerfahrenen schätzen die erfahrenen Eltern die Verhaltensverbesserungen ihrer Kinder um 0,3 Punkte besser ein als die unerfahrenen Eltern. Es wir deutlich, daß der subjektiv eingeschätze Erfolg hauptsächlich mit pädagogischen Vorerfahrungen und weniger mit pädagogischer Ausbildung in Verbindung steht.

Beendigung von Erziehungstellenverhältnissen

ca  25-35% könnten als Abbrüche klassifiziert werden,

ca 20-25% der Kinder kehren in ihre Herkunftsfamilie zurück , als „Abbrecher“ oder nach erfolgreicher Erziehungsstelle und nach Erreichen der Volljährigkeit oder als aktiv pädagogisch geplante Maßnahme (Rückführung) .Das Datenmaterial ist hier jedoch aufgrund der geringen Fallzahlen sehr ungenau.Die geplante Rückführungen dürften wesentlich unter den o.g. Zahlen liegen

3)  Zusammenfassung und Empfehlungen der Planungsgruppe Petra:

„Erziehungsstelleneltern sind prinzipiell 24 Stunden täglich das ganze Jahr über mit den Problemen und Entwicklungsmöglichkeiten der Erziehungsstellenkinder konfrontiert. Im Unterschied zu sozialpädagogischen Institutionen – beispielsweise einem Kinderheim – haben sie es mit einer geringeren Anzahl von Kindern zu tun. Geht man von einer gleichartigen sozialpädagogischen Ausbildung aus, können die Wahrnehmung von Problemen, die differenzierte Erziehungsplanung und die falladäquaten Normsetzungen in Erziehungsstellen deshalb besser verwirklicht werden.

Die Entwicklungsverläufe in den …Erziehungsstellen zeigen, daß eine positive Entwicklung der Kinder und Jugendlichen deutlich überwiegt….Trotzdem wurde in etwa 1/4 der Fälle abgebrochen. Dort kann man davon ausgehen, daß zur Zeit des Abbruchs das pädagogische Verhältnis zwischen Erziehungsstelleneltern und Kindern oder Jugendlichen gestört war….Die geplanten Rückführungen in die Herkunftsfamilie nehmen einen sehr geringen Teil ein….

Erziehungsstellen leisten nach unseren Erhebungen sowohl ihrem Anspruch nach als auch empirisch nachvollziehbar professionelle Arbeit, d.h. sie versuchen in der Regel die notwendigen professionellen Elemente in die Erziehung der ihr anvertrauten Kinder einzubeziehen. In der Erziehungsplanung, der Strukturierung von pädagogisdchen Situationen wie gemeinsamen Essen, Hausaufgaben oder Zubettgehen wird aktiv und überprüfbar pädagogisch gearbeitet.Auch die pädagogischen Reaktionen auf das Verhalten der Erziehungsstellenkinder können nach unserem Eindruck einen Vergleich mit der Arbeit sozialpädagogischer Institutionen standhalten. Wichtig ist dabei die Balance zwischen familiärem Arrangement und Professionalität…..Hier liegt die fachliche Grenze der Erziehungsstellen, weil familiäre Harmonie und Einbindung in die Geborgenheit der Familie für die Entwicklung der Kinder mindestens ebenso wichtig sind wie fachlich qualifiziertes Handeln.“

S 163 ff